Seit über hundert Jahren wurden Audiosignale per Kupferkabel übertragen, und seit etwa fünfzig Jahren gibt es das Ethernet. In den letzten zwei Jahrzehnten sind zahlreiche Audio-over-Ethernet-Protokolle aufgekommen – und ebenso viele sind wieder verschwunden.
Mit dem Milan-Protokoll (Media Integrated Local Area Networking) hat sich eine Spezifikation etabliert, die speziell auf die Anforderungen professioneller Echtzeitanwendungen ausgerichtet ist: Es ist offen, interoperabel und zukunftssicher. Einer der Treiber für diese Entwicklung ist d&b audiotechnik. Das Unternehmen stellt sich nicht nur mit einer wachsenden Zahl von Milan-kompatiblen Produkten auf, sondern beteiligt sich auch aktiv an der Weiterentwicklung des Ökosystems, zum Beispiel durch die Mitentwicklung des herstellerneutralen Milan Managers.
Milan basiert auf den offenen IEEE-Standards AVB (Audio Video Bridging) und TSN (Time Sensitive Networking). Es garantiert eine deterministische, latenzarme und ausfallsichere Übertragung von Audiodaten und bietet ein hohes Maß an Interoperabilität, das in der Pro-Audio-Welt lange vermisst wurde. Geräte verschiedener Hersteller können nahtlos zusammenarbeiten, sofern sie Milan-zertifiziert sind. Die Konfiguration erfolgt automatisch, Bandbreiten werden reserviert und die Synchronisierung ist selbst bei hoher Belastung bis auf wenige Nanosekunden genau. Milan eignet sich daher besonders für Live-Veranstaltungen und Installationen, bei denen es auf hohe Zuverlässigkeit ankommt.
IEEE steht für „Institute of Electrical and Electronics Engineers“ – ein weltweit führender Berufsverband für Ingenieure und Technologen. Das IEEE entwickelt und veröffentlicht internationale Normen für eine Vielzahl von technischen Bereichen, darunter das Ethernet und die Echtzeitentwicklungen AVB und TSN. Diese Normen bilden die Grundlage für Milan und stellen sicher, dass die Technologie offen, lizenzfrei und herstellerübergreifend nutzbar ist.
Die Rolle der Avnu Alliance
Für die Umsetzung dieser IEEE-Normen in Geräte steht eine starke Gemeinschaft hinter Milan: die Avnu Alliance. Die gemeinnützige Organisation wurde gegründet, um gemeinsam offene, standardisierte und interoperable Netzwerktechnologien für zeitkritische Anwendungen zu fördern.
Dabei wurde deutlich, dass ein zuverlässiges, deterministisches und anpassungsfähiges Netzwerkprotokoll benötigt wird, das speziell auf die Anforderungen der Pro-Audio-Branche zugeschnitten ist. Daraufhin wurde innerhalb der Avnu Alliance eine Arbeitsgruppe aus führenden AV-Herstellern gebildet, die seitdem gemeinsam die Milan-Spezifikation entwickelt, um AVB interoperabel zu machen.
Die Avnu Alliance verwaltet nicht nur die Spezifikation, sondern ist auch für die Zertifizierung der Milan-Geräte verantwortlich. Nur Produkte, die die strengen Interoperabilitäts- und Leistungsprüfungen bestehen, erhalten das Milan-Zertifikat: ein entscheidender Faktor für Zuverlässigkeit und Kompatibilität im Einsatz.
Milan im Vergleich zu Dante – zwei Wege, ein Ziel?
Im Zusammenhang mit digitalen Audionetzwerken fällt neben Milan oft auch der Name Dante. Das Protokoll des australischen Unternehmens Audinate ist weit verbreitet und hat sich insbesondere in Live- und Studioumgebungen etabliert. Beide Protokolle verfolgen das gleiche Ziel: hochwertige Audioübertragung über Ethernet. Sie erreichen dies jedoch auf unterschiedliche Weise.
Dante basiert auf standardmäßigen IP-Netzwerken (Layer 3) und verwendet das Real-Time Transport Protocol (RTP) für die Übertragung. Dadurch ist es flexibel und lässt sich leicht in bestehende IT-Infrastrukturen integrieren. Die Synchronisierung erfolgt über das Precision Time Protocol (PTP), und die zentrale Verwaltung mit dem „Dante Controller“ folgt einem Workflow, mit dem viele Anwender vertraut sind. Für eine stabile Leistung sind jedoch oft manuelle Netzwerkkonfigurationen erforderlich, z. B. für QoS, IP-Subnetze, Multicast, VLANs oder IGMP – typische Konzepte aus der professionellen Netzwerkumgebung. Die Redundanz wird häufig mit zwei VLANs anstelle von getrennten Netzwerken hergestellt.
Im Gegensatz dazu basiert Milan auf Layer 2 und verwendet AVB, das Pro-Audio-Profil von TSN. Der große Vorteil ist, dass AVB-fähige Switches mit gPTP-Protokoll eine präzise Zeitsynchronisation ermöglichen und automatisch Bandbreite genau nach Bedarf bereitstellen. Es gibt also keine Verzögerung, keine manuelle QoS-Konfiguration und keine Sorgen um IGMP oder VLANs. Die Netzwerkinfrastruktur ist weiterhin einfach verständlich, stabil und vorhersehbar. Das ist ein entscheidender Vorteil für jeden, der sich auf das Audiosystem und nicht auf die IT konzentrieren möchte.
Und während Dante ein proprietäres System ist, basiert Milan auf offenen IEEE-Standards. Das bedeutet: Es wird von vielen Herstellern gemeinsam entwickelt, es fallen keine Lizenzgebühren an, und jeder kann Milan-Hardware und -Software implementieren, so dass mehrere Anbieter Lösungen bereitstellen können. Insbesondere in Zeiten weltweiter Lieferengpässe ist dies ein nicht zu unterschätzender Vorteil.
„Bei d&b audiotechnik denken wir weiterhin, dass Dante eine sehr gute Lösung für viele Applikationen ist, und natürlich werden wir auch in Zukunft Geräte entwickeln, die zu diesem Protokoll kompatibel sind“, erklärt Matthias „Matze“ Christner, Leiter R&D – Systems and Technologies bei d&b audiotechnik. „Allerdings bietet Milan eine ganz andere Qualität in Sachen Vorhersagbarkeit und Interoperabilität. Es ist das einzige Protokoll, das die für Line-Arrays erforderliche Synchronisation unter allen Bedingungen garantiert.“
Daniel Zimmermann, Product Manager DSP and Networks bei d&b audiotechnik, betont ebenfalls: „Mit Milan sorgt jeder Switch automatisch dafür, dass immer ausreichend Bandbreite vorhanden ist. Für jedes ankommende Sample ist ein Slot vorhanden. Dadurch ist das System extrem robust und zuverlässig.“
Ein Meilenstein in der Verbreitung von Milan war die im Januar 2024 angekündigte Zusammenarbeit zwischen d&b audiotechnik und L-Acoustics. Die beiden Unternehmen, die ansonsten Konkurrenten sind, bündeln ihre Stärken, um gemeinsam an Tools und Technologien zu arbeiten. Ziel ist es, die Verbreitung von Milan voranzutreiben und die Einstiegshürden für Nutzer zu senken, damit diese von einer intuitiveren und optimierten Erfahrung beim Einrichten und Verwalten von Milan-AVB-Netzwerken profitieren können.
Deutliche Signalwirkung – Einführung des Milan Manager
Ein Ergebnis dieser Zusammenarbeit ist der Milan Manager, eine herstellerneutrale, kostenlose Software zur Konfiguration und Überwachung von Milan-Netzwerken. Die Software erkennt automatisch alle Milan-Geräte im Netzwerk, ermöglicht ein einfaches Routing der Kanäle über die Rasteransicht und stellt detaillierte Statusübersichten bereit. Der Milan Manager steht unter https://www.milanmanager.com für Windows und macOS zum Download zur Verfügung.
„Audio-Engineers sollen ihre Zeit nicht auf Netzwerkprobleme verwenden, sondern sich darauf konzentrieren können, begeisternde Klangerlebnisse für das Publikum zu schaffen“, so Matthias Christner.
Milan in der Praxis: Warum es so gut funktioniert
„Milan basiert zwar auf AVB, aber das Audio Video Bridging umfasst sehr viele Parameter. Es kann daher vorkommen, dass zwei Produkte von unterschiedlichen Herstellern zwar beide das AVB-Label tragen, trotzdem aber nicht miteinander kompatibel sind.. Bei Milan haben Anwenderinnen und Anwender im Gegensatz dazu die Garantie, dass zertifizierte Geräte reibungslos miteinander kommunizieren“, erklärt Daniel Zimmermann.
Auch in Bezug auf das Timing setzt Milan neue Maßstäbe. Vor allem bei der Ansteuerung von Line-Arrays ist höchste Präzision gefragt. „Wenn Audiosignale nicht exakt synchron ankommen, kann es zu Phasenverschiebungen im Hochtonbereich und damit zu hörbaren Qualitätsverlusten kommen“, so Zimmermann. „Milan mit seinem exakt definierten Timing ist aktuell das einzige Protokoll, das die erforderliche Präzision garantieren kann. Und zwar unter allen Bedingungen.“
Matthias Christner fügt hinzu: „Für d&b ist es besonders wichtig, dass bei der Ansteuerung von Line-Arrays ein unter allen Umständen hochstabiles zeitsynchrones Eintreffen der Audiosignale bei allen beteiligten Processing- und Verstärkerkanälen gewährleistet ist.. Andernfalls würde die Wiedergabe im Hochtonbereich nicht wie gewünscht funktionieren, da sich bei unterschiedlichem Timing im Sub-Mikrosekundenbereich einzelne Elemente des Arrays sozusagen vor- oder zurückbewegen würden.. Das wäre natürlich absolut kontraproduktiv. Mit Milan können wir eine Synchronisation im Sub-Mikrosekundenbereich erreichen, was für die Klangqualität von entscheidender Bedeutung ist.“
Von XLR zu Ethernet.
Für Matthias Christner steht es außer Frage: „Die Ethernet-Buchse ist das neue XLR.“ Milan ermöglicht einen herstellerunabhängigen Workflow, der sich an den Bedürfnissen der Anwender und nicht an den Grenzen proprietärer Systeme orientiert. „In der Branche ist es üblich, dass Audio-Systemtechnikerinnen und -techniker auf der einen Tournee mit einem System von d&b audiotechnik arbeiten, während sie auf der nächsten Tour ein System von L-Acoustics zur Verfügung haben. Für sie ist es ein großer Vorteil, wenn sie einen einmal erlernten Workflow übernehmen können, unabhängig vom Systemhersteller.“
Auch Daniel Zimmermann ist überzeugt: „Ganz gleich, wie umfangreich und dynamisch ein Milan-System in der Praxis ist: Es wird immer sicherstellen, dass alles, was möglich ist, zuverlässig funktioniert, ganz gleich, was passiert.“
Milan in der Produktwelt von d&b.
d&b audiotechnik hat Milan jetzt in eine Vielzahl von Produkten integriert, darunter die DS100M Signal Engine, die DS22 Audio Network Bridge, den DN2 Switch und die Verstärker D90, D40, 40D, D25 und 25D. Hervorzuheben ist, dass der D40 durch ein Firmware-Update im Frühjahr 2025 Milan-fähig wurde – ein Beispiel dafür, wie bestehende Hardware durch Software zukunftssicher gemacht werden kann.
Fazit.
Dank der engen Zusammenarbeit mit führenden Pro-Audio-Herstellern und der kontinuierlichen Weiterentwicklung bietet das Milan-Protokoll eine zukunftssichere Lösung für die Herausforderungen der voranschreitenden Digitalisierung in der AV-Industrie. Die Anwender können sich ganz auf das konzentrieren, was am wichtigsten ist: herausragende, unvergessliche Erlebnisse für das Publikum zu schaffen, ohne sich mit unnötiger technischer Komplexität auseinandersetzen zu müssen.