Eine ganz neue Welt.

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Holophonie. Dieses Prinzip beschreibt eine Audiowiedergabe, die einen virtuellen Raumklang erzeugt. Realisiert wurde dieses Hörerlebnis auch im Sommer 2012 im Sydney Opera House bei der Produktion Die tote Stadt, eine Oper des österreichisch-amerikanischen Komponisten Erich Wolfgang Korngold (1897–1957), der sich als Vertreter der modernen Klassik begriff. Das opulente, farbenreiche Opus ist für großes Orchester geschrieben – das SOH verfügt jedoch nur über einen bescheidenen Orchestergraben, jedenfalls nicht groß genug, um hundertvierzig Musiker und Chorsänger aufzunehmen. Und hier kommt nun die Holophonie ins Spiel.

„Holophonie ist nicht der ganz korrekte Begriff, das Prinzip aber ist leicht verständlich: Es wird ein Klangbild geschaffen, bei dem virtuell etwas vermittelt wird, das in Wirklichkeit nicht da ist“, erklärt Tony David-Cray Sounddesigner des Projekts und Leiter des Aufnahmestudios des SOH. Das System, mit dem dieser akustische Zaubertrick realisiert wurde, ist eine Kombination von äußerst ungewöhnlich angeordneten d&b Lautsprechern und einem Klangraum-Algorithmus, mit dem virtuelle Klangquellen erzeugt werden. Von jedem Platz im Saal werden sie so wahrgenommen, als hätten sie eine feste Position und eine feste Ausrichtung.

Für David-Cray ging es um Wahrhaftigkeit. Wie soll man eine wirklichkeitsgetreue Wiedergabe präsentieren, wenn das Orchester nicht in den Saal passt? Er musste gleichermaßen die Interessen der Künstler wie auch die der Zuhörer berücksichtigen. Zum Glück hatte er ausreichend Zeit für die Planung. „Bei solchen Produktionen beauftragt man normalerweise einen Sounddesigner, und alles geht seinen gewohnten Gang. Ich mache das nun schon seit einigen Jahren, aber bei diesem Projekt musste ich das Orchester auf jeden Fall außerhalb des Saales platzieren und daher die Sache ganz anders angehen. Dazu brauchte ich die Hilfe eines anderen Teams. Etwa ein Jahr zuvor hatte die Opera Australia, die das SOH bespielt, wegen Korngolds Oper Kontakt mit mir aufgenommen. Gleichzeitig bin ich Ralf Zuleeg vom d&b Application Support begegnet, der zufällig im SOH zu tun hatte. Ein Glücksfall! Denn als ich ihm erzählte, was ich vorhatte, fingen seine Augen an zu leuchten. Er hatte gleich begriffen, was das für ein verrücktes Projekt war. Ich hatte es natürlich absichtlich erwähnt, denn ich wusste ja, welch große Erfahrung er mit Lautsprechersystemen und Klangwiedergabe hat und dass er grundsätzlich auf dem neusten Stand der Technik ist. Dass er auch auf dem Gebiet virtueller Klangerzeugung so bewandert ist, wusste ich jedoch nicht.“

Ralf Zuleeg wandte sich an IOSONO in Erfurt, und Stephan Mauer wurde zu dem Projekt hinzugezogen. „Wir brauchten auch zusätzliches Equipment“, sagt David-Cray, „so stieß Shane Bailey von NAS, dem australischen d&b Verleiher, zu uns. Er koordinierte die Bereitstellung der Systeme.“ Auch dabei hatte David-Cray Glück, denn NAS konnte die etwa siebzig nötigen T10 liefern. „Wir hatten sie gerade bekommen und auf Lager. Das Timing war perfekt!“, so Bailey. Der fünfte im Team war Steve McMillan, Leiter des Tonbereichs des SOH. „Das Team hat dafür gesorgt, dass alles bereitstand, und hat für jede Vorstellung das System geprüft und gewartet.“

Ralf Zuleeg hatte das System einzig auf der Basis des T10 entworfen. „Der T10 kann nämlich sowohl als Punktquelle wie auch im Line Array verwendet werden, er kann sozusagen >Country and Western<. Er hat immer dieselben Klangcharakteristika, egal, wie man ihn einsetzt, und das hat mir das Leben leicht gemacht. Ich musste keine Zeit auf die Feineinstellung eines Systems verwenden, das aus verschiedenen Elementen besteht, eben aus Punktquellen- und Line Array Geräten. Tony wollte vor allen Dingen eine gesonderte PA für den Saal und verdeckte Lautsprecher für die Künstler auf der Bühne. Wir brauchten ein System, das ein absolut wirklichkeitsgetreues Klangfeld erzeugt. Die Sänger sollten unverstärkt singen, das Verhältnis zwischen ihrer Leistung und der des Orchesters musste also für den gesamten Raum gelten.“

Das Klangfeld, das durch Zuleegs Design und Mauers Anwendung des Klangraumalgorithmus auf das Setup entstand, überraschte selbst das Team, als das System eine Woche vor der Premiere installiert wurde. „Schon beim ersten Eindruck war klar, dass die Sänger auf der Bühne das Gefühl hatten, das Orchester befände sich unten im Graben“, sagt David-Cray. „Es klang überall im Saal vollkommen natürlich. Auch wenn man direkt vor der Bühne saß, wo ein T10 des Frontfills nur etwa anderthalb Meter entfernt war, nahm man den Lautsprecher nicht wahr.“ Mauer ergänzt: „Man muss sich das so vorstellen, dass wir bei diesem System die Lautsprecher nicht nutzen, um Klang wiederzugeben, sondern um das natürliche Wellenfeld einer virtuellen Klangquelle zu erzeugen. Mit den Algorithmen werden die Steuersignale für die einzelnen Lautsprecher so berechnet, dass das Publikum den Klang aus einer Richtung wahrnimmt, wo deren Quelle sein sollte. Anders gesagt: Das Publikum hört Musik von Instrumenten, die sich in Wirklichkeit nicht im Raum befinden.“

„Das Hören dieser Orchestermusik ist im gesamten Saal sehr konsistent“, findet David-Cray. „Auf einem Platz hört man die Geigen und die Celli unmittelbar hintereinander, auf einem anderen Platz verändert sich das entsprechend, als würden tatsächlich Musiker im Orchestergraben sitzen.“ David-Crays Begeisterung war spürbar; je mehr er erzählte, desto deutlicher wurde sie. „Auf der Bühne klingt es genauso toll. Wahnsinn, wie die Sänger auf Signale aus dem Raum reagieren. In der vorderen Mitte der Bühne hört man die Musik von vorn und von unten heraufkommen, als säßen die Musiker tatsächlich dort im Graben. Es ist fast unheimlich. Vorn am Bühnenrand ist der Eindruck noch stärker – genau so, wie es sein soll. Unser Dirigent Christian Badea hat es auch so erlebt, als wir ihn durch den Saal und über die Bühne führten. Irre!“

„Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir in der Sound-Gemeinde noch lange über diese Methode der Klangbilderzeugung sprechen werden“, fährt David-Cray fort. „Man bekommt ein ganz anderes Gefühl für das Design. Die Technik wird aus dem Hörerlebnis ausgeblendet, und die wichtigere philosophische Frage steht wieder im Raum: Was ist Performance eigentlich? Nehmen wir der Einfachheit halber den >Cocktail Party Effekt<: In einer klanglich überladenen Umgebung können Gehör und Gehirn sich auf eine konkrete Stimme konzentrieren und die anderen Geräusche ignorieren. Das funktioniert, weil das Gehirn die Signale von den Ohren verarbeitet und die Phasendifferenzen zwischen allen Geräuschen auswertet. Das nennt man >binaurales Hören<, es ist für die akustische Wahrnehmung unserer Umgebung genauso wesentlich wie für das Hören eines Orchesters: Jeder Zuhörer mixt die einzelnen Stimmen in seinem Kopf selbst zusammen. Hier spielt d&b nun eine entscheidende Rolle. Zusammen mit den intelligenten Algorithmen sorgen konsistenter Klang und Abstrahlwinkel der Lautsprecher für eine >Überwindung der Ungläubigkeit< beim Zuhörer. Er sieht das Orchester nicht, aber er hört es so gut, dass er glauben kann, es sei da. Das meinte ich, als ich sagte, das Hörerlebnis wird von der Technik unabhängig.“

„Das Tolle ist, dass dabei nicht die Tontechniker einen tollen Mix erzeugen – sie rühren nicht an der Musik. Wie gesagt, der Dirigent hat das Kommando, und das hört sich ganz natürlich an. Ralf Zuleeg war uns dabei eine große Hilfe, und als er uns Stephan Mauer vermittelt hat, wusste ich, dass wir dieses Projekt verwirklichen können – auch wenn ich nie gedacht hätte, dass das Klangbild so stark sein würde. Im Grunde geht es nur darum, Kunst wiederzugeben, und dabei verschwindet die Technik aus dem Hörfeld. Es ist eine ganz andere Welt, zu der nun eine Tür geöffnet wurde“, schließt Tony David-Cray.

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